Für die an meinem Wirken weiterhin oder neu interessierten Menschen möchte ich heute (31.12.14) einen kurzen Bericht geben. Dabei ist die zentrale Aussage: Ich habe von meinem "Ruhestandsprogramm" bislang fast nichts umsetzen können, d.h. weder eine regelmäßige Beratungs- und Fortbildungstätigkeit aufgenommen noch mehr als ein paar
Thesenpapiere geschrieben.
Dafür gibt es vor allem drei Gründe. Der erste, eher triviale, besteht darin, daß ich fast zwei Jahre lang noch gut mit der Abwicklung von Hochschulaufgaben zu tun und zu weiteren aufwendigen Engagements offenbar keine Lust hatte, sie einfach auf die Zeit danach verschob.
Der zweite, ab Mitte 2012 erkennbare, beruht auf einer falschen Einschätzung. Es zeigte sich rasch, daß ich für eine Tätigkeit als "soziologischer Wegbegleiter" nur ganz eingeschränkt an meine Hochschulerfahrungen anknüpfen konnte. Vielmehr wäre es nötig gewesen, ein neues Beratungskonzept zu erarbeiten, eine neue Zielgruppe zu finden und auch neue Kompetenzen zu entwickeln. Zeitweilig habe ich über das Modell eines alternativen, sozialen Coaching auch nachgedacht, bald jedoch die Motivation wieder eingebüßt. Meine Abneigung gegen die für ein Bekanntwerden auf dem Beratungsmarkt erforderlichen Schritte war einfach zu stark.
Die bislang genannten Umstände wurden dann aber seit dem Frühjahr 2013 von existentiellen Belastungen überlagert und relativiert. Zunächst verlor ich von einem Tag auf den anderen die über viele Jahre mühsam bewahrte Kontrolle über die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen und versank für einige Zeit in Panik, Depression und Schlaflosigkeit. Das machte auch einen längeren Klinikaufenthalt erforderlich. Sicher nicht zufällig hinzu trat dann im Herbst 13 eine glücklicherweise frühzeitig erkannte Krebserkrankung. Auch diese hatte natürlich erhebliche lebenspraktische Konsequenzen und ließ mich erstmals zum richtigen Patienten mit Untersuchungen, Operationen, Angst und Abhängigkeit werden.
Von der Krebserkrankung bin ich inzwischen fast vollständig geheilt und vermag sie als wertvolle Erfahrung und bedeutsamen Reifungsanlaß zu bewerten. Die Traumafolgen und deren wünschenswerte radikale Akzeptanz bleiben ein großes Alltagsproblem - vermutlich bis zum Lebensende.
Im Augenblick und schon seit Monaten bin ich in einer Phase des lustvollen Plänemachens und der behutsamen Wiederaufnahme nachberuflicher Aktivität. Hierbei kommen mir die persönlichen Erfahrungen mit dem Kranksein und ihre Verbindung mit intensiven Lektüreprozessen zugute.
Schon beschäftigt bin ich 1)mit der Vorbereitung eines Buchprojekts zum Thema Entwürdigung in Institutionen, 2) mit ersten Schritten im Feld Sterbebegleitung (nach einer kürzlich abgeschlossenen Fortbildung). Wahrscheinlich werden gelegentliche Seminare und Vorträge hinzukommen. Was die aufgegebene Beratungsidee anbelangt: Hier bleibe ich offen für schon bestehende Gesprächsbeziehungen, die inzwischen zumeist freundschaftlicher Natur, also erfreulich unprofessionell sind.
26.2.2021
Die aktuelle Zeit der erzwungenen Zurückgezogenheit und Kontaktarmut hat mir ganz unverhofft Gelegenheit und Motivation zum Niederschreiben alter und neuer Ideen und Einsichten geschenkt. Begonnen habe ich mein wiss. "Spätwerk" mit einer kleinen Studie zum neuerdings vielbeachteten Einsamkeitsproblem ("Die Entdeckung der Einsamkeit. Der Aufstieg eines unerwünschten Gefühls zum sozialen Problem"), die gerade bei Springer VS erschienen ist. Folgen wird nun die Beschäftigung mit Würde und Gesellschaft. Weil ich sie schon länger geplant, aber mehrfach verschoben habe, denke ich jetzt, diesen Einführungstext zum Sommerbeginn 22 abschließen zu können. Wenn es meine Lebensumstände und der so bedrohliche Wandel der Welt noch erlauben, würde ich gern eine Soziologie der Angst, viele Jahre mein Lieblingsthema,in Angriff nehmen. Auch zu Vergeben und Verzeihen als Form zwischenmenschlicher Handlungsbewertung hätte ich einige Einfälle. Aber warten wir ab, ob und wie sich diese Vorhaben verwirklichen lassen.
19. 5. 2023
Inzwischen ist auch die angekündigte "Soziologie der Würde" erschienen, wieder bei Springer VS. Mit dem Angstprojekt habe ich begonnen. Ob ich es noch schaffe, ist aber fraglich. Zunehmende Vergeßlichkeitsprobleme erschweren die Textarbeit ungemein. Andererseits kann ich mir jetzt überhaupt noch nicht vorstellen, wie ein Leben ohne wiss. Lesen und Schreiben aussehen könnte, und wie es sich mit Sinn füllen ließe.